Visitenkarten Dr. Böttner

BILD-Zeitung bei der Arbeit – Oder: Wie man sich eine Schlagzeile herbeifantasiert

Egal ob Kachelmann, Edathy oder Tugce – die Berichterstattung der Boulevard-Medien deckt sich selten mit der Wahrheit. Es geht meist nur um Auflage und aufgeblähte Nachrichten.

Der Name „Boulevard-Medien“ entstand damals durch die besondere Vertriebsform der speziellen Zeitschriften. Anders als übliche Tageszeitungen wurden Boulevard-Zeitschriften nämlich nicht im Abo an die Tür der Kunden gebracht bzw. verkauft. Stattdessen musste jeden Tag aufs Neue der Leser auf der Straße, also dem Boulevard, vom Kauf überzeugt werden. Daher ist die Zeitschrift auf große, plakative und reißerische Schlagzeilen angewiesen.

Ein aktuelles Beispiel der „BILD“-Zeitung zeigt erneut auf, was für perverse Blüten die Berichterstattung (Verdachtsberichterstattung) über vermeintlich strafrechtliche Vorgänge treiben kann. Die „BILD“-berichtet in einem aktuellen Beitrag über die Jugendabteilung des Fußballclubs Hannover 96.

Die Wahrheit ist nicht wichtig

Es wird im Titel von „Jugend-Chaos bei Hannover 96!“ berichtet. Zusätzlich wird im Untertitel von „Nackte Kinder-Hintern +++ Mobbing-Vorwürfe +++ Strafanzeige gegen Jugendtrainer“ gesprochen. Als Illustration dient ein Foto des Trainingsplatzes. Aus den Ecken greift die Schwärze nach dem Bild und das „Böse“ scheint den „Tatort“ verschlingen zu wollen.

Spätestens jetzt läuft die Fantasie des Lesers auf Hochtouren. Nackte Kinder? Mobbing? Strafanzeige? Kindesmissbrauch? Erst im weiteren Text erfährt der Leser, dass es sich lediglich um aufgebauschte heiße Luft handelt. Der durch die reißerische Überschrift suggerierte Zusammenhang zwischen „nackten Kindern“ und „Strafanzeige“ existiert gar nicht. Eine schwere Straftat ist im gesamten Artikel nicht zu erkennen. Ob überhaupt ein strafbares Verhalten vorliegt, ist mehr als fraglich.

Viel Lärm um nichts

Bezüglich der „nackten Kinder-Hintern“ handelt es sich um ein Foto, welches die Jugendspieler des Vereins vor zwei Jahren angefertigt haben. Beteiligt waren laut des Vereins auch Jugendspieler des FC Bayern Münchens. Der Trainer schickte dieses Foto an die Eltern der Kinder mit dem Zusatz „Bayern ist halt scheiße“. Kein sexueller Hintergrund. Keine strafrechtliche Relevanz. Kein Skandal.
Die Strafanzeigen, bei denen es sich laut der News sogar um zwei handeln soll, hatten mit diesem Vorfall gar nichts zu tun. Eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung soll von einer Mutter eines Spielers erstattet worden sein. Der Trainer hatte ihren Sohn, nachdem er über Übelkeit klagte, auf die Bank zum Ausruhen geschickt. Ende der Geschichte. Eine weitere Anzeige soll, laut Bild-Zeitung, wegen Verleumdung gegen den Trainer erstattet worden sein.

Was war geschehen? Einem Spieler wurde Geld gestohlen. Der Trainer bezichtigte einen Mitspieler des Diebstahls und verlangte ein Geständnis vor der gesamten Mannschaft. Die Eltern erstatteten daraufhin Anzeige. Man könnte von typischen Umgang unter Jugendlichen sprechen.
Alles keine spektakulären Fälle, die strafrechtliche Konsequenzen haben dürften. Aus diesem Grund hält auch der Verein weiterhin zum Trainer. Für die Bild-Zeitung in diesem beschriebenen Fall ist dies aber wohl unverständlich. So heißt es zum Ende des Artikels: „Nackt-Fotos, Mobbing-Vorwürfe, Strafanzeigen – trotz der schweren Vorwürfe hält 96 zu seinem Trainer“.

Einige Medien gehen zum Teil unverantwortlich mit ihrer Macht um

Medien gelten gemeinhin als „Vierte Gewalt im Staat“. Die Boulevard-Medien missbrauchen ihre Macht aber häufig zur Meinungsmache und Vorverurteilung. Der aktuelle Bericht ist lediglich ein Beispiel unter vielen. Auch bei der Berichterstattung in prominenten Strafverfahren geht es meist nicht um die Wahrheit, sondern um eine möglichst reißerische Überschrift. Man erinnere sich auch an solche Schlagzeilen und Nachrichten bei der Verdachtsberichterstattung oder prozessbegleitenden Berichterstattung bei einer möglichen Vergewaltigung, Mord oder Kindesmissbrauch.
Die Strategie ist immer die gleiche: Aus einem relativ geringem Vorwurf wird eine monströse Tat heraufgeschrieben. Mit stilistischen Mitteln, Verknappungen und teilweise auch Unwahrheiten wird der gewünschte spektakuläre Tatverlauf konstruiert. In der späteren Hauptverhandlung stellt sich der tatsächliche Tathergang dann völlig anders dar. Die Medien bleiben meist trotzdem bei ihrer „Horror-Story“. Am Ende erfolgt durch das Gericht dann ein mildes Urteil oder gar ein Freispruch. Kein Grund für die Boulevard-Presse ihre bisherige Berichterstattung zu bereuen. Stattdessen bildet das Urteil dann neues Material, um über ein vermeintliches „Fehlurteil“ zu sprechen.

Über all dies könnte man schmunzeln, wenn es nicht ernsthafte Konsequenzen für die Beteiligten hätte. Auf der einen Seite sind nämlich auch Staatsanwälte und Richter nur Menschen. Sie sind nicht völlig frei von dem, was in den Medien berichtet wird. Auch der durch die Medien aufgebaute Druck der Öffentlichkeit kann möglicherweise die Entscheidungsfindung eines Gerichts beeinflussen.
Auf der anderen Seite wirken solche Berichte auch zerstörerisch auf das berufliche und private Umfeld des Beschuldigten. „Irgendwas wird schon dran gewesen sein“ denken die meisten Menschen nach solch einer Berichterstattung. In vielen Fällen entsprangen die Vorwürfe jedoch nur dem Hirngespinst des jeweiligen Redakteurs. Während der Beschuldigte vor den Scherben seiner Existenz steht, stürzt sich der „Journalist“ auf sein nächstes Opfer.

Zum Glück bedienen sich die gemeinhin als „seriöse“ geltenden Medien und Tageszeitungen nicht dieser Stilmittel und berichten in der Regel sachlich, objektiv und unvoreingenommen über strafrechtliche Prozesse, Gerichtsentscheidungen und sonstige Ereignisse.