StGb Kommentar

Urteil im Fall Tugce: 3 Jahre Jugendstrafe für Sanel M. – ein gerechtes Urteil?

Es war einer der Strafprozesse, bei denen die Rollen von Beginn an klar verteilt waren: Gut gegen Böse. Auf der einen Seite steht der von der Presse teilweise als „Komaschläger“ bezeichnete Sanel M. und auf der anderen Seite die getötete Tugce Albayrak. Es befindet sich also auf der einen Seite ein bereits strafrechtlich in Erscheinung getretener und als „Schläger“ bezeichnete Heranwachsender, auf der anderen Seite die unbescholtene Tugce Albayrak, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatte und Lehrerin werden wollte. Der Angeklagte ist lebendig, das Opfer tot und das Presseaufgebot enorm.

Soweit so scheinbar eindeutig. Die erste Überraschung kam auf, als nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es sich lediglich um eine – wenn auch heftig geführte – Ohrfeige handelte. Diese hatte zum Sturz geführt und dieser wiederum zum Tod. Der Vorwurf Totschlag oder Mord waren spätestens nach Vorliegen der Ergebnisse der Rechtsmedizin vom Tisch. Im Gegensatz zu Fällen, bei denen mehrfach z.B. im Rahmen einer gefährlichen Körperverletzung oder schweren Körperverletzung durch Schläge und/oder Tritte auf ein Opfer eingewirkt wird, ist bei einer einzelnen Ohrfeige ein Tötungsvorsatz eher fernliegend. Es kam daher „lediglich“ eine Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht. Dabei handelt es sich um die Kombination einer vorsätzlichen Körperverletzung und eines dadurch kausal und zumindest fahrlässig herbeigeführten Todes als Folge.

Doch hatte sich bei der Bewertung der Tat in den Köpfen der Richter – die auch nur Menschen sind – tatsächlich etwas geändert? Strafrechtlich ist der Unterschied zwischen einem Totschlag mit bedingtem Vorsatz und einer Körperverletzung mit Todesfolge nicht unerheblich. Denn im Erwachsenenstrafrecht wird Totschlag gem. § 212 StGB mit Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren bestraft, in besonders schweren Fällen sogar mit lebenslanger Freiheitsstrafe. Demgegenüber nennt § 227 StGB lediglich einen Strafrahmen von 3 Jahren bis zu 15 Jahren. Zudem war zu berücksichtigen, dass der Grad der Fahrlässigkeit bei einem einzelnen Schlag mit der flachen Hand geringer ist als bei Faustschlägen oder gar Tritten.

Sanel M. ist nach Jugendstrafrecht verurteilt worden, so dass diese Strafrahmen nicht unmittelbar gelten. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch sein Strafverteidiger wie letztlich auch das Gericht waren sich einig, dass bei dem gerade 18 Jahre alt gewordenen Angeklagten Reifeverzögerungen nicht ausgeschlossen werden können. Dabei handelt es sich um das maßgebliche Kriterium für die Anwendung von Jugendstrafrecht, welches sogar bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres angewendet werden kann.
Im Jugendstrafrecht kann eine Jugendstrafe dann verhängt werden, wenn entweder sog. schädliche Neigungen vorliegen und/oder eine besondere Schwere der Schuld. Letzteres hat hier das Gericht dazu bewogen, eine Jugendstrafe zu verhängen. Bei der Höhe der Jugendstrafe spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht steht das Erziehungsstrafrecht im Vordergrund.
Im Laufe des Prozesses vor dem Landgericht Darmstadt hat sich Stück für Stück herauskristallisiert, dass das anfängliche Schwarzweißdenken fehl am Platze war. Bereits die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer darauf hingewiesen, dass es im Fall Tugce eben nicht so einfach ist, sondern dass die „Grautöne“ entscheiden. Weder sei Sanel M. ausschließlich ein aggressiver „Koma-Schläger“ noch Albayrak eine „nationale Heldin“ für Zivilcourage.

Die zuständige Schwurgerichtskammer des Landgerichts Darmstadt hatte einen weiten Spielraum für die Bemessung einer Strafe. Eine Jugendstrafe hätte unter der Grenze von 2 Jahren bemessen und – wie vom Strafverteidiger des Sanel M. beantragt – zur Bewährung ausgesetzt werden können. Aber eben nur können, nicht müssen.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten beantragt. Aufgrund der Überschreitung der Grenze von 2 Jahren natürlich ohne Bewährung.
Die Kammer hat Sanel M. schließlich zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Ob und wenn ja welche Rolle der öffentliche Druck und die frühe Rollenverteilung dabei gespielt haben mögen bleibt offen. Solche Erwägungen würde das Gericht auch kaum in die Urteilsgründe schreiben. Denn es ist zu erwarten, dass Sanel M. über seinen Strafverteidiger Revision einlegen wird, über die dann der Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet. Maßgeblich wird dabei zu prüfen sein, ob das Gericht den teilweise etwas höheren Anforderungen an die Begründung der Strafhöhe im Jugendstrafrecht gerecht geworden ist.

Gerechtes Urteil im Tugce-Fall?

Die Meinungen dazu, ob es sich um ein „gerechtes“ Urteil handelt gehen sicher auseinander. Der größte Teil der Bevölkerung dürfte eine Gefängnisstrafe für angemessen erachten. Das Gericht dürfte sich im Bereich des (strafrechtlich) begründbar Möglichen gehalten haben. Sicher ist, dass eine junge Frau ihr Leben aufgrund dieses Schlages verloren hat und auch das Leben von Sanel M. – selbst nach Entlassung aus der Haft – nicht mehr dasselbe sein wird.

Es bleibt zu hoffen, dass die intensive Presseberichterstattung zumindest dazu beiträgt, dass junge Menschen ihre Handlungen überdenken. Denn schon eine Ohrfeige kann zum Tod führen. Und nichts ist dann mehr so, wie es vorher einmal war.