Stethoskop auf weißem Hintergrund

Organspendeskandal: Freispruch für Transplantationsarzt vom Vorwurf des versuchten Totschlags

Göttinger Arzt nach 61 Verhandlungstagen vom Vorwurf des versuchten Totschlags in elf Fällen freigesprochen. Die Manipulation von Patientendaten stellte keine strafbare Handlung dar.

Die Uniklinik Göttingen stellte im Jahr 2012 Unregelmäßigkeiten bei Organtransplantationen fest. Ärzte sollen gezielt medizinische Daten ihrer Patienten manipuliert haben. Diese Daten wurden dann an Eurotransplant weitergeleitet. Dadurch sollen Patienten auf der Warteliste für Spenderorgane nach oben gerutscht sein. Sie bekamen daraufhin schneller ein Spenderorgan.

Von den Patienten selbst erhielten die Ärzte keine Gegenleistung. Jedoch zahlte die Klinik für eine hohe Anzahl an Transplantationen eine Bonuszahlung. Der beschuldigte Arzt bestritt jedoch jegliches finanzielle Interesse. Es ging ihm allein um das Wohl seiner Patienten. Der Organspendeskandal in Göttingen führte auch in anderen Kliniken zu Überprüfungen der Transplantationsdaten. Unter anderem wurden daraufhin Unregelmäßigkeiten in München, Münster und Leipzig entdeckt.
Das Gericht sprach den angeklagten Göttinger Arzt nun jedoch von allen Vorwürfen frei. Bereits bei der Anklage hatte die Staatsanwaltschaft mit einem Problem zu kämpfen. Die Manipulation von Patientendaten stellt nämlich erst seit August 2013 eine Straftat nach dem Transplantationsgesetz dar. Da die angeklagten Taten aber vor dieser Gesetzänderung lagen, musste die Anklagebehörde einen juristischen Kniff anwenden.

Die Staatsanwaltschaft zielte auf die Patienten ab, die aufgrund der Datenmanipulation auf der Liste nach unten rückten. Da diese später ein Organ bekamen, sollte der Tot dieser Patienten billigend in Kauf genommen worden sein. Schwierigkeiten bereitete jedoch die Ermittlung von konkreten Opfern. Spätestens der Nachweis, dass die benachteiligten Patienten mit dem Organ überlebt hätten, war nicht zu führen. Daher lautete die Anklage auch lediglich auf versuchten Totschlag in elf Fällen.

Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer am Ende des Strafprozesses eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und ein lebenslanges Berufsverbot. Die Strafverteidigung betonte die damalige fehlende Strafbarkeit und forderte aus diesem Grund einen Freispruch. Der Mammut-Prozess erstreckte sich insgesamt über 61 Verhandlungstage.

Das Gericht folgte in dem freisprechenden Urteil der Argumentation der Strafverteidiger. Bezüglich des versuchten Totschlags in elf Fällen hielt das Gericht die tatsächlichen Auswirkungen der Datenmanipulation für nicht nachweisbar. Auf Verstöße gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer kam es dem Gericht nicht an. Die Richtlinie hielt das Gericht für verfassungswidrig, da sie menschliches Leben qualitativ bewertete und einordnete. So wurden beispielsweise alkoholkranke Menschen nach der Richtlinie benachteiligt. Der vorsitzende Richter betont jedoch den Grundsatz, dass jedes menschliche Leben gleich viel wert sei. Mittlerweile hat die Bundesärztekammer ihre Richtlinie auch diesbezüglich angepasst.

Zusätzlich war der Arzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen angeklagt. Er soll unnötigerweise Lebertransplantationen durchgeführt haben, in deren Folgen die Patienten an Komplikationen starben. Auch in diesen Fällen erfolgte jedoch ein vollumfänglicher Freispruch. Das Gericht hielt die Operationen für medizinisch vertretbar. Eine Strafbarkeit war somit auch dahingehend nicht ersichtlich.

Die Staatsanwaltschaft kündigte bereits die Revision gegen das Urteil an. Damit wird sich höchstwahrscheinlich noch einmal der Bundesgerichtshof mit diesem Fall beschäftigten müssen. Sollten die Richter in Karlsruhe das Urteil aufheben, müsste das Verfahren erneut verhandelt werden.
Für den Bereich des Arztstrafrechts stellte dieses Umfangverfahren eine Ausnahme und besondere Herausforderung dar. Die 61 Hauptverhandlungstage vor dem Landgericht Göttingen hinterlassen Spuren. Der hart erkämpfte Freispruch ist dennoch gewisse Erleichterung für den Angeklagten, der sich – bis zum Schluss – mit dem Damoklesschwert der von der Staatsanwaltschaft Göttingen beantragten mehrjährigen Haftstrafe konfrontiert sah. Derzeit ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, so dass eine endgültige Erleichterung erst bei Rücknahme oder Verwerfung der Revision eintritt.